Studien, Analysen

Internationale Konzerne stellen sich neu auf und trennen sich von immer größeren Einheiten

  • Wert des Verkaufs von Unternehmensteilen steigt weltweit sprunghaft von 371 auf 828 Milliarden US-Dollar, Anzahl der Deals wächst nur leicht von 3.085 auf 3.164
  • Deutschland: Zahl und Wert von Desinvestitionen brechen in den ersten fünf Monaten ein
  • Technologie- und Energiefirmen im Fokus interessierter Käufer
  • Daniel Riegler: Strategieentwicklung für das verbleibende Geschäft bleibt zu häufig auf der Strecke

Konzerne trennen sich weltweit von immer größeren Unternehmenseinheiten. In den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres hat sich das Desinvestitionsvolumen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum weltweit mehr als verdoppelt: Die untersuchten Konzerne veräußerten zwischen Januar und Mai Unternehmensteile im Gesamtwert von 828 Milliarden US-Dollar. Das ist ein Zuwachs von gut 123 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, als Desinvestitionen im Wert von lediglich 371 Milliarden US-Dollar getätigt wurden. Die Zahl von Verkäufen stieg im selben Zeitraum zwar auch – allerdings deutlich moderater von 3.085 auf 3.164 Transaktionen.

Im Gesamtjahr 2020 waren die Desinvestitionen in wichtigen Märkten weltweit noch unter dem Niveau der Vorjahre geblieben: So trennten sich die untersuchten Konzerne von Unternehmensteilen im Gesamtwert von gerade einmal 1,3 Billionen US-Dollar. Im Vorjahr wurden im gleichen Zeitraum 1,6 Billionen US-Dollar erzielt – das entspricht einem Rückgang um mehr als 20 Prozent. Die Zahl der Desinvestitionsprojekte sank im Jahr 2020 mit 8.388 auf den niedrigsten Stand seit 2015.

Das sind Ergebnisse einer weltweiten Studie zu Unternehmensverkäufen, für die die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY Divestments in ausgewählten Märkten ausgewertet hat (Deutschland, USA, Vereinigtes Königreich, Frankreich, China und die sogenannten Nordics, zu denen Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark zählen).

„Der steigende Druck, die Transformation der Geschäftsmodelle voranzutreiben und gleichzeitig die globalen Lieferketten zu sichern, die sich in der Pandemie häufig bis zum Zerreißen gespannt haben, veranlasst viele Konzerne dazu, sich auch von größeren Teilen ihres Geschäfts zu trennen. Der schon seit längerem beobachtete Trend zu insgesamt weniger Deals bei steigendem Wert einzelner Desinvestitionen setzt sich fort“, so Daniel Riegler, Leiter EMEIA Sell & Separates Leader bei EY.

Dieser Trend sei allerdings aktuell in erster Linie in den größten Märkten – USA und China – zu beobachten, so Riegler. In den USA wurde zwischen Januar und Mai 2021 ein Deal-Wert von 367 Milliarden US-Dollar (plus 230 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum) erzielt, gleichzeitig sank die Zahl der Verkäufe von 495 auf aktuell 452. Chinesische Konzerne verkauften Unternehmensteile im Wert von 87 Milliarden US-Dollar (plus 108 Prozent), während die Zahl der Transaktionen um lediglich 25 Prozent auf 761 stieg.

Deutlich weniger Desinvestitionen in Deutschland

In Deutschland traten die untersuchten Konzerne bei Desinvestitionen in den vergangenen Monaten auf die Bremse. Hatten sich die untersuchten Konzerne im Gesamtjahr 2020 noch in 300 Fällen von Unternehmensteilen (Vorjahr: 291 Deals) getrennt und dabei ein Volumen von 57 Milliarden US-Dollar (plus 25 Prozent) erzielt, brachen die Desinvestitionsaktivitäten in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres hierzulande deutlich ein: Bei nur noch 66 Verkäufen (Vorjahreszeitraum: 103) erzielten die Konzerne ein Gesamtvolumen von knapp 8 Milliarden US-Dollar (minus 70 Prozent).

„Die Corona-Pandemie hat die Verkaufspläne vieler deutscher Großunternehmen zunächst einmal auf Eis gelegt. Ein wichtiger Grund für die vorsichtigere Haltung der Unternehmen hierzulande sind die Corona-Maßnahmen in Europa, die im Vergleich zu den USA und China deutlich flächendeckender und langwieriger waren. Zudem wird die Zurückhaltung deutscher Unternehmen im Jahr 2020 erst jetzt im vollen Umfang sichtbar, weil ein Transaktionsprozess bis zum Abschluss drei Monate bis zu zwei Jahre dauern kann. Transaktionen, die im Jahr 2020 nicht angegangen oder pausiert wurden, schlagen sich also erst mit entsprechender Verzögerung in der aktuellen Erhebung nieder.“

Megatrends wie Digitalisierung, Elektromobilität, Klimawandel und Ressourcenknappheit veranlassten jedoch nach wie vor viele große Unternehmen, ihr Portfolio auf den Prüfstand zu stellen. „Die Pipeline sowohl auf der Käufer- als auch auf der Verkäuferseite ist prall gefüllt. Bis Jahresende wird die Zahl abgeschlossener Divestments in Deutschland massiv zunehmen“, erwartet Riegler. In Deutschland sei die Zahl großer Transaktionen allerdings zurückgegangen. „Gab es in der Vergangenheit etwa drei bis fünf Megadivestments mit jeweils mehreren Milliarden US-Dollar Transaktionsvolumen pro Jahr, sehen wir aktuell eher mittlere bis kleinere Transaktionen.“

Neben anderen Branchen erwartet Riegler vor allem in der deutschen Automobilindustrie künftig mehr Bewegung, zumal die Politik in vielen wichtigen Märkten ernst mache bei dem Ziel, Emissionen drastisch zu verringern. „Elektrifizierung der Autoflotte, Wasserstoff als alternativer Kraftstoff, Mobilitätskonzepte, die weniger auf individuelles Eigentum ausgerichtet sind und das Ziel, die Nettoemissionen in den nächsten Jahrzehnten auf null zu reduzieren: Die Automobilindustrie steht vor der Herkulesaufgabe, sich neu zu erfinden. Der Verkauf von Unternehmensteilen, aber auch der Zukauf dringend benötigter neuer Kompetenzen wird dabei ein Mittel sein, um den Umbau des eigenen Geschäftsmodells voranzutreiben“, prognostiziert Riegler.

Herausforderung: Strategie für das verbleibende Geschäft

Ein Großteil der C-Level-Führungskräfte, die für die Studie befragt wurden, hat sich von den getätigten Desinvestitionen mehr versprochen. So sind 75 Prozent der Befragten deutschen Manager mit der Entwicklung des Bewertungsmultiplikators für das verbleibende Geschäft nach der Transaktion nicht zu frieden. Entsprechend geben ebenfalls drei Viertel der Befragten an, dass eine Strategie für das verbleibende Geschäft eine der wichtigsten Herausforderungen sei. Auch an den Preis und das Timing der Veräußerung hatten 70 bzw. 69 Prozent der Befragten ursprünglich höhere Erwartungen geknüpft.

„Bei einer gut organisierten Transaktion sollten die Vorbereitung und Durchführung der Veräußerung, aber auch die Entwicklung einer Wachstumsstrategie für das verbleibende Geschäft gleichzeitig im Fokus stehen. Das ist aber ganz offensichtlich noch die Ausnahme“, stellt Riegler fest. „Der Desinvestitionsprozess ist in der Regel so ressourcenintensiv, dass Führungskräfte nur noch wenig Spielraum haben, um sich um andere Aufgaben zu kümmern – mit der Folge, dass Strategieüberlegungen für das verbleibende Geschäft auf der Strecke bleiben“, warnt Riegler. Zu einer erfolgreichen Desinvestition gehöre aber eine Optimierung des verbleibenden Geschäfts wesensmäßig dazu. „Je früher sich die Verantwortlichen um Anpassungen der Produktionsprozesse, Veränderungen in der Lieferkette oder etwa Nutzung gemeinsamer Dienstleistungen kümmern, desto größer sind die Chancen für das Kerngeschäft – und damit für die Steigerung des Unternehmenswertes“, mahnt Riegler.

Technologie- und Energiefirmen im Fokus

Wie im Vorjahr stehen besonders Technologie- und Medienfirmen im Fokus von interessierten Käufern. Weltweit wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres bei insgesamt 676 Deals 302 Milliarden US-Dollar in Technologie- und Medienfirmen investiert – so viel wie in keiner anderen Branche und mehr als im gesamten Jahr 2020, als bei 1.703 Verkäufen 280 Milliarden US-Dollar erzielt wurden. Unternehmen aus der Energiebranche folgen mit 538 Transaktionen, bei denen ein Transaktionsvolumen von 134 Milliarden US-Dollar erlöst wurde, auf Platz zwei.

Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie haben dem Trend zum Kauf von Technologiefirmen weiter Auftrieb verliehen, stellt Riegler fest: „Digitale Lösungen helfen dabei, die Kommunikation mit Kunden und Vertragspartnern aufrecht zu halten, die Prozesse im Unternehmen weiterzuführen und die Lieferketten zu steuern. Digitales Know-how muss in vielen Unternehmen aber erst mühsam aufgebaut werden – durch Zukäufe können sie diesen Prozess beschleunigen.

(Quelle)

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